HOCHSCHULE



Die Wundermacher


Wie Spielfilme mit digitalen Tricks den letzten Schliff erhalten

Von Roland Schulz

Manchmal sagt es Michel Briegel einfach, wenn er fremde Menschen trifft. Manchmal sagt er einfach diesen einen Satz: "Ich bin Inferno-Operator." Dann herrscht erst mal Schweigen. Dass er irgendetwas zwischen Regisseur des Jüngsten Gerichts und Sprengmeister ist, denken die meisten dann. Oder sie glauben, er mache etwas mit Grafik, wenn er ergänzt, dass er in der digitalen Postproduktion arbeitet. Also antwortet Michel Briegel auf die Frage nach seinem Beruf der Einfachheit halber zumeist, dass er beim Film arbeite.

Der 29-Jährige arbeitet bei der Aktiengesellschaft Das Werk, nach eigenen Angaben in Europa Marktführer bei der digitalen Postproduktion von Kino-, Fernseh- oder Werbefilmen. In der Münchner Zweigstelle, nahe dem Englischen Garten, auf einem alten Fabrikgelände, hinter einer stählernen Tür, auf der ein Aufkleber mit einer Explosion voller Farben und dem Schriftzug "Inferno 1" klebt. Der Raum sieht aus wie eine Berghütte. Die Sofas sind mit Kuhfell bezogen, der Schrank hat statt Griffen Hörner und in der Ecke liegt künstliches Holz in einem künstlichen Kamin. Mittendrin ein lang gezogener Tisch voller Bildschirme mit Computergehäusen darunter. Das ist das Inferno, das Gerät, dem Michel Briegel seine Berufsbezeichnung verdankt. Er nennt es "die Kiste". Hier arbeiten er und sein Partner Oliver Stück. Als Inferno-Operatoren in der digitalen Postproduktion oder, wie die beiden sagen, in der Illusion.

Früher bedeutete Postproduktion, also die Nachbearbeitung von Filmmaterial, hauptsächlich Vertonen und Schneiden des Films. Heute, mit den Möglichkeiten von Inferno, Smoke oder Fire - den modernen Bildbearbeitungssystemen -, bedeutet es mehr: "Was nicht passt, wird passend gemacht" oder "Vision possible" (so das Firmenmotto von Das Werk). Michel Briegel und Oliver Stück machen aus 20 Menschen 2000 und aus dem 20. Jahrhundert eine beliebige Vergangenheit. Oder aus Sommer Winter. Geht ganz einfach - fast alle Blätter von den Bäumen nehmen, die restlichen Blätter von Grün zu Braun färben und die ganze Filmszene in ein winterliches Licht tauchen. So was hat das Münchner Werk beispielsweise für den Film Comedian Harmonists gemacht. Alles am Computer.

Angefangen hat Das Werk 1991 in Frankfurt am Main mit der digitalen Nachbearbeitung von Werbefilmen. 1995 wurde die Filiale in München gegründet, mittlerweile gibt es außerdem Zweigstellen in Düsseldorf, Hamburg, Berlin und Ludwigsburg. München hat sich auf die Postproduktion von Spielfilmen spezialisiert. Die 70 Mitarbeiter hier haben schon Kinofilme wie Lola rennt und Der Krieger und die Kaiserin von Tom Tykwer oder The Million Dollar Hotel von Wim Wendersnachbearbeitet und veredelt. Drei Wochen lang hat Oliver Stück an der Leuchtreklame des Million-Dollar-Hotels "herumgefummelt". In Wirklichkeit ist sie seit langem kaputt, und so hat sie Wenders auch gefilmt. Stück hat am Inferno jede einzelne Glühbirne wieder strahlen gemacht. Am Ende waren es keine zwei Sekunden Film. "Ich mag es, wenn man von den Effekten nichts mehr sieht", sagt der 31-Jährige. Und das bedeutet eben viel Arbeit. Wie bei der Szene mit dem Turm aus dem Mantel-und-Degen-Film D'Artagnan, den Das Werk zurzeit bearbeitet.

In dieser Szene hängt ein Musketier in wehendem Mantel an der Außenmauer eines Festungsturms, allein gehalten von einem Seil. Die Kamera filmt ihn von oben: ein kleiner Musketier hoch über der Erde, erleuchtet von Fackeln und Feuern der Festung - ein wuchtiges Bild. Leider mit vielen Fehlern. Denn wer genau hinsieht, kann beispielsweise die vielen Leinen erkennen, die den hoch am Turm schwebenden Stuntman sichern, oder die Gasleitungen, die Fackeln und Feuer am Boden versorgen. Das passt nicht, also wird es passend gemacht.

Die Musketierszene liegt auf einem Smoke-Gerät. Die Farben wurden bereits korrigiert, und bevor sie zur Feinabstimmung zu den Inferno-Operatoren geht, werden hier die Fehler entfernt. In jedem einzelnen Bild - eine Sekunde Film hat 24 Bilder - werden die Sicherungsseile wegretuschiert, die Gasleitungen unsichtbar gemacht. Danach können Michel Briegel und Oliver Stück an ihrem Inferno zum Beispiel das Feuer noch feuriger aussehen lassen. Wenn sie wollten, könnten sie sogar einen Verfolger in die Szene setzen, der eine Flinte auf den Musketier richtet. So können ganze Bildwelten künstlich geschaffen werden.

Dinosaurier, schnell gezaubert

"Es gibt Leute, die behaupten: Alles ist möglich. Das ist wahr. Es geht alles", sagt Oliver Stück. Es sei nur eine Frage des Geldes. Denn eine Sekunde digital nachbearbeiteter Film kostet im Schnitt 30 000 Mark. Doch das Geld ist da. Spätestens seit Filmen wie Jurassic Park oder Terminator 2 haben Regisseure und Produzenten die Möglichkeiten erkannt, die ihnen die digitale Postproduktion bietet. Kreativ wie wirtschaftlich. Man kann weidende Dinosaurier auch nachbauen, doch das ist teurer und aufwändiger, als sie am Computer entstehen zu lassen. Genauso kann man das alte Rom nachbauen. Auf die Premiere von Gladiator müssten die Kinogänger dann aber wohl noch 30 Jahre lang warten, der Produzent wäre bis dahin längst bankrott. Deshalb Postproduktion. 88,8 Millionen Euro hat Das Werk im vergangenen Jahr mit digitalen Tricks umgesetzt. 1999 fusionierte die Aktiengesellschaft mit Wim Wenders' Filmproduktionsfirma Road Moviesund dreht nun auch gleich selber Filme. Kern des Geschäfts bleibt aber die Postproduktion, und die wird stetig ausgeweitet. 1999 waren es noch 220 Beschäftigte, 2000 bereits 603.

Viele sind Quereinsteiger. Michel Briegel ist eigentlich gelernter Hotelkaufmann, Oliver Stück Erzieher. "Ich hätte niemals gedacht, dass ich einmal jeden Tag vor einem Rechner sitzen werde", sagt Briegel. Doch nach einem Praktikum blieb er beim Werk. So läuft es bei vielen - eine geregelte Ausbildung für die Postproduktion gibt es nicht, damit auch kein Patentrezept für den beruflichen Werdegang. Manche wählen die akademische Laufbahn und studieren zunächst an einer Hochschule - an der Filmakademie in Ludwigsburg beispielsweise oder an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film. Andere bewerben sich um einen Ausbildungsplatz als Mediengestalter Bild und Ton. Doch die Geräte in der Postproduktion kosten sehr viel Geld - die teuersten, die Domino heißen, bis zu 2,4 Millionen Mark. Und ständig gibt es neue, schnellere, bessere. Da ist es für Hochschulen oder Medienakademien schwierig, auf dem neuesten Stand der Technik auszubilden. So lernen die meisten Mitarbeiter in der Postproduktion ihr Handwerk erst bei der Arbeit in einem Unternehmen wie dem Werk, gewissermaßen durch innerbetriebliche Ausbildung. Learning by Doing: Wenn Zeit ist, zeigen die Inferno-, Smoke- oder Fire-Operatoren den Praktikanten ihr Können. Wenn noch mehr Zeit ist, dürfen die Praktikanten selber an die Geräte. Das kann allerdings ein wenig dauern. Oliver Stück, der seit fast acht Jahren in der Postproduktion arbeitet, hat in einem Filmstudio angefangen und "am Anfang immer nur den Boden geschrubbt. Aber dann sitzt du an der Kiste und lernst. Und stehst nicht mehr auf, bis du Bescheid weißt und die Tricks kennst."

Vom 11. bis. 13. November findet im Congress Centrum der Messe Frankfurt am Main die eDIT 2001, der 4. Internationale Fachkongress für Film, Postproduction und Visual Effects, statt. Parallel dazu läuft die eDucation, ein Crashkurs in Postproduction für Schüler und Studenten. www.edit-frankfurt .de