Interview mit Otto Rehhagel: (Rheinzeitung du 3/8/97)

"Das ist doch bloß was Besonderes für die Presse"

Gleich ein Auftaktsieg bei der Rückkehr in die Bundesliga, und ausgerechnet gegen den Verein, der Sie vor 15 Monaten entlassen hat. Eine Genugtuung?

Rehhagel: "Ich habe mich in erster Linie die ganze Zeit um meine Mannschaft gekümmert. Wir haben ja sehr viele neue Leute. Und ich muß sehen, daß ich die menschlich alle gut integriere. Ich habe der Mannschaft gesagt: Sonst mußten wir immer hier am Stadion vorbeifahren und dann in Unterhaching aussteigen. Jetzt sind wir hier, und wir haben das ganze Jahr um diese Möglichkeit gekämpft. Ich habe gesagt: Ihr habt nichts zu verlieren, seid cool und clever. Wir haben das ein oder andere Mal Glück gehabt. Aber ich denke, letztendlich haben wir's auch verdient, daß wir gewonnen haben."

Aber so ein Sieg im Olympiastadion muß doch etwas Besonderes für Sie selbst sein?
Rehhagel: "Das ist doch bloß was Besonderes für die Presse. Dann haben sie was zu schreiben."

Besser hätte Ihre Rückkehr nach München nicht laufen können.
Rehhagel: "Ich war nicht das erste Mal wieder in München. Ich habe schon gegen Unterhaching gespielt. Das Olympiastadion - klar - da kommt man nur hin, wenn man erstklassig ist. Jetzt haben wir allerdings am Mittwoch wieder ein sehr schweres Spiel gegen Hertha. Und einige Leute sind verletzt. Und ich muß sehen, wie ich eine Mannschaft zusammenbaue, die zu Hause mit ein bißchen mehr Druck nach vorne spielen kann. Denn die Heimspiele muß man gewinnen, um die Klasse zu halten. Ich glaube, dieser Sieg kann richtungsweisend sein. Insbesondere für die Pfalz."

Warum war Andreas Brehme nicht im Kader?
Rehhagel: "Ich habe ihn heute draußen gelassen. Am Mittwoch ist er wieder dabei, weil Sforza für die Schweizer Nationalmannschaft spielt. Ich habe meine bestimmten Vorstellungen. Leider gehen nur 18 Mann auf die Bank. Aber Andreas hat das großartig geschluckt. Er hat von sich aus gesagt, für ihn soll Ballack auf die Bank. Er hat mit vollem Herzen neben mir gesessen und sich total engagiert. Andreas hat ja jetzt das Alter - das haben wir vorher besprochen - in dem er ab und zu mal aussetzen muß. Er ist 36 Jahre, hat eine Super-Karriere gehabt und wird auch einen Super-Abgang in Kaiserslautern haben."

Ihre Entscheidung hatte keine disziplinarischen Gründe? Es gab Gerüchte, Sie lassen Brehme draußen, weil er sich in einem Interview auf die Seite von Manager Hans-Peter Briegel stellte.
Rehhagel: "Totaler Quatsch. Die Gerüchte bringen immer die Journalisten rein."

Wie gehen Sie mit den internen Querelen in der Führung des 1. FC Kaiserslautern um?
Rehhagel: "Die Leute, die Jürgen Friedrich kritisieren, haben kein Recht dazu, denn sie haben nicht seinen Charakter. Wenn der Verein die Zügel nicht schnellstens ganz straff zieht und Leute, die im Hintergrund Intrigen spinnen, in ihre Schranken weist, wird der Verein nie mehr wieder internationale Erfolge haben, oder sagen wir mal, über die Grenzen hinaus populär sein. Die Zuschauer, die jede Woche zum Betzenberg gehen, wollen keine Leute, die im Hintergrund ihre Profilneurosen ausleben müssen. Das ist alles kleinkarierter Käse. Ich habe immer gesagt, ich bin freischaffender Künstler, und wenn ich merke, die Leute verlieren sich in kleinkariertem Mist, dann war's das auch, und ich geh' Sandburgen bauen."

Wie beurteilen Sie die Leistung des FC Bayern München, ihres früheren Vereins?
Rehhagel: "Ich bin Cheftrainer beim 1. FC Kaiserslautern. Und die Leute verlangen von mir auch zu recht, daß ich mich nur um den 1. FC Kaiserslautern kümmere." (dpa)


(Rheinzeitung du 8/8/97)

1. FC Kaiserslautern - Hertha BSC Berlin 1:0 

"Kleinkarierter Käse" stinkt

Friedrich droht mit Rücktritt - Briegel : Sache mit Otto "bereinigt".

Kaiserslautern (sid) Eigentlich könnte alles so schön sein: In einem Vier-Augen-Gespräch unter Männern hatten Trainer Otto Rehhagel und Manager Hans-Peter Briegel ihren monatelangen Streit vor dem Spiel "endgültig bereinigt" (Briegel), der 1. FC Kaiserslautern hatte anschließend durch ein Tor von Olaf Marschall (74.) das Aufsteigerduell gegen Hertha BSC Berlin verdient 1:0 (0:0) gewonnen und nach den zwei Auftaktsiegen erstmals seit vier Jahren die Tabellenspitze der Fußball-Bundesliga erobert.

Doch die bislang makellose "weiße Weste" (sechs Punkte, kein Gegentor), wird beschmutzt von der Schlammschlacht im Verwaltungsrat der "Roten Teufel". 

Der offene Machtkampf zwischen dem Vorsitzenden Jürgen Friedrich und Verwaltungsratsmitglied Peter-Werner Landry ist eskaliert - der "kleinkarierte Käse" (Rehhagel) beginnt zu stinken. Das unabhängige Gutachten, das Friedrich von dem Vorwurf der "Vetternwirtschaft" zugunsten seines Sohnes Patrick befreit, wird von Landry angezweifelt.

"Ich werde hier seit vier Wochen fast kastriert"

Bäcker Landry will angeblich im Besitz eines Gegengutachtens sein, das seine Vorwürfe untermauert und der Gegenseite unterstellt, ein "Gefälligkeitsgutachten" in Auftrag gegeben zu haben. Das strittige Geschäft mit Fanartkeln, bei dem die Firma midas des Friedrich-Sohnes Patrick einen Verlust von rund 11.000 Mark gemacht haben soll, hatte ein Gesamtvolumen von rund 350.000 Mark. Angesichts eines FCK-Etats von 42 Millionen Mark ein eher geringer Betrag, aber offenbar genug, um den Hausfrieden der "Roten Teufel" nachhaltig zu stören.

Dem eigentlich stets gut gelaunten Friedrich, der sogar beim unschönen Hauskrach zwischen Briegel und Rehhagel seinen Humor bewahrt und sein Amt mit dem Weitermachen des Managers verknüpft hatte, ist das Lachen vergangen. Mittlerweile hat Faschingsprinz Hardy Höfli 108 Mitgliederstimmen beisammen und kann satzungsgemäß das Vorziehen der für 17. Oktober vorgesehenen Jahreshauptversammlung fordern. "Ich werde hier seit vier Wochen fast kastriert und seit einem Dreivierteljahr permanent von Herrn Landry attackiert. Ich weiß gar nicht warum?", erklärt Friedrich. In einer brisanten und mit Spannung erwarteten Vorstandssitzung will Friedrich am Freitag (ab 17.00 Uhr) Tacheles reden. Der Ex-Profi und Mitspieler von Rehhagel, der den Erfolgscoach im August 1996 nach Kaiserslautern geholt hatte, denkt diesesmal ernsthaft an Rücktritt und droht damit.

"Mannschaft und Trainer haben Charakter bewiesen"

"Ich werde die ganze Angelegenheit mit meinen Kollegen besprechen und dann mitteilen, was ich mache. Wenn ich meine Erfahrung und Kreativität nicht mehr einbringen kann, dann ...", sagt Friedrich, den in der Pfalz alle "Atze" nennen. Da Friedrich die Rückendeckung von Präsident Hubert Keßler und der Mannschaft hat, ist derzeit nur eine Lösung möglich: Friedrich bleibt nur, wenn Landry geht. "Mannschaft und Trainer haben den Charakter bewiesen, den ich während der letzten Wochen innerhalb unseres Vereins teilweise leider vermissen mußte", teilte Keßler in einem offenen Brief den Lauterer Fans mit. "Wir haben die Antwort auf dem Platz gegeben. Es kann nicht sein, daß der Fußball mittlerweile zur Nebensache geworden ist. Einige Leute müssen sich Gedanken machen, für wen sie arbeiten", wetterte Martin Wagner nach seinem 200. Bundesligaspiel. Wagner fordert: "Herr Landry und Co. müssen mal die Klappe halten."

Das Hickhack auf den Nebenschauplätzen nahm Torschütze Marschall mit Humor. "Von mir aus könnte das ganze Jahr Theater sein, wenn wir dadurch weiter oben bleiben würden." Der Stürmer, den seit 1994 sieben Verletzungen immer wieder zurückgeworfen hatten und der nach einem Mittelfußbruch noch mit Drähten sowie Schrauben im rechten Fuß spielt, konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann er zuletzt einen spielentscheidenden Treffer markiert hat. Mit seinem artistischen Kopfball aus fast aussichtloser Lage machte Marschall das vor, was Hertha-Trainer Jürgen Röber bei seinen Angreifern vermißte. "Wir haben die Chancen mehr oder weniger kläglich vergeben", monierte Röber. Kapitän Axel Kruse, der zweimal aussichtsreich vergab (30. und 40.) konnte sich nicht vorstellen, "daß der Trainer das gesagt hat" und sprach ungeachtet des FCK-Dauerdrucks und der eigenen Defensivhaltung von einem "Glückstreffer zu einem glücklichen Lauterer Sieg".
Mark Mittasch; Foto: dpa


(Rheinzeitung du 16/9/97)

1. FC Kaiserslautern - VfB Stuttgart 4:3 

Marschall träumt vom zweiten Länderspiel

Warten auf Anruf von Vogts - Briegel : "Derzeit wertvollster Spieler"

Kaiserslautern (sid) Er schießt Tore wie am Fließband und hat die Tabellenführung des 1. FC Kaiserslautern quasi im Alleingang verteidigt. Olaf Marschall hat spätestens mit seinen drei Toren am Sonntag abend beim 4:3 gegen Pokalsieger VfB Stuttgart auch die letzten Zweifler von seinen Qualitäten als Torjäger überzeugt.

Mit sieben Treffern in sechs Spielen steht der 31jährige an der Spitze der Torjägerliste. Sogar Trainer-Fuchs Otto Rehhagel war nach der Glanzvorstellung seines Sturmführers aus dem Häuschen. "Herr Marschall hatte heute den Marschall-Stab in der Tasche - einfach großartig!" Auch Manager Hans-Peter Briegel schwärmte: "Er ist derzeit unser wertvollster Spieler und das nicht nur wegen seiner Tore."

"Ich werde dem Bundestrainer eine Bahncard 
schicken, damit er mal in die Provinz kommt"

Die Teamkollegen sehen ihren Goalgetter nach dem "Triple" (20., 59. und 80. Minute) - das Tor Nummer vier hatte der ebenfalls überragende Brasilianer Ratinho (55.) erzielt - für höhere Aufgaben berufen. "Also, wenn ich Berti Vogts wäre und wählen müßte zwischen Jürgen Klinsmann und Ulf Kirsten, würde ich Olaf nehmen", sagt Axel Roos. Kapitän Martin Wagner ergänzt: "Ich werde dem Bundestrainer eine Bahncard schicken, damit er mal in die Provinz kommt." Komplimente, die dem Stürmer runtergehen wie Öl. "Das waren jetzt sechs gute Spiele, aber es läuft ja nicht immer so. Ich würde mich aber schon freuen, wenn Berti Vogts anruft", gab sich Marschall, der ein Länderspiel hatte, bescheiden. Es war ein fünfminütiger Kurzauftritt beim 0:0 der deutschen Nationalelf in Budapest gegen Ungarn im Oktober 1994.

Bislang war der 1,86 m große Mittelstürmer klassischer Prägung vom Pech verfolgt. Seit seinem Wechsel 1994 für 2,8 Millionen Mark von Dynamo Dresden zum 1. FCK klebte ihm das Verletzungspech an den Fußball-Stiefeln. Achillessehnenbeschwerden, Meniskusverletzung, Bänderriß im Knie, ein Mittelfußbruch und vor dieser Saison noch Nierensteine - ein Krankenblatt, das normalerweise für das vorzeitige Karriere-Ende reicht. Sich immer wieder aufzurappeln und für ein Comeback zu quälen, war für Marschall "irgendwo ein Teil meiner Arbeit als Profi". Aber damit soll jetzt erst mal Schluß sein: "Mein größter Wunsch ist, daß jetzt endlich die Knochen halten." Eine Erklärung für seine derzeitige Glanzform hat der viermalige DDR-Auswahlspieler nicht. Marschall: "Manchmal triffst du aus drei Metern das Tor nicht".

"Der legt die Dinger vor, und ich halte nur noch den Kopf hin"

Aber der Lockenkopf, der bei Chemie Torgau in Sachsen das Fußballspielen begann und auf der Kinder- und Jugendsportschule (KJS) in Leipzig in einem Jahrgang mit der sechsmaligen Schwimm-Olympiasiegerin Kristin Otto war, profitiert von den Klassevorlagen des Brasilianers Ratinho. "Der legt die Dinger vor, und ich halte nur noch den Kopf hin", erklärt Marschall, der aber auf die Euphoriebremse tritt. "Wir sind nicht so vermessen und beginnen plötzlich nach sechs Spielen von der Meisterschaft zu reden", wanrt Marschall. Das Spiel des noch ungeschlagenen FCK in Karlsruhe am Freitag steht für Marschall unter einem guten Stern: Nach dem 3:3 der Lauterer beim KSC 1994 war er ins DFB-Aufgebot gegen Ungarn berufen worden.

Der Stuttgarter Nationalstürmer Fredi Bobic haderte am Sonntag nach der Niederlage in einem Klassespiel mit seinen Hinterleuten. "Drei Tore müßten normalerweise reichen, um auswärts zu gewinnen, aber wir haben Tore gekriegt, die einfach nicht sein mußten." Neben Bobic (14.) trafen Jonathan Akpoborie (37.), die den VfB zweimal in Führung gebracht hatten, und Florin Raducioiu (90.) für den Pokalsieger. "Es gibt in der Bundesliga nicht viele Gegner, die in der Offensive so stark sind", lobte VfB-Trainer Joachim Löw. Bei den Schwaben gibt man sich trotz des mäßigen Saisonstarts betont ruhig. Keiner will die Elf vor dem Hinspiel im Pokalsiegerwettbewerb am Donnerstag gegen IB Vestmannaeyjar/Island zusätzlich verunsichern.
Mark Mittasch; Fotos: Reuters, dpa


Brehme als Nachfolger ? (20/10/97)

Lauterns Manager Briegel zurückgetreten

Kaiserslautern (dpa/lrs) - Sportlich auf dem Platz an der Sonne, ist der 1. FC Kaiserslautern in der Führungsebene fast am Tiefpunkt. Drei Tage nach der beschönigenden Jahreshauptversammlung wurde der Bundesliga-Spitzenreiter am Montag durch den Rücktritt von Manager Hans-Peter Briegel aus den schönsten Träumen gerissen. Gegenüber dem Präsidium und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Jürgen Friedrich hatte Briegel seine Entscheidung kundgetan, die zwar nach außen völlig überraschend kam, für Insider aber nicht ganz unerwartet.

Offiziell wollte der frühere Nationalspieler nichts über seine Gründe verlauten lassen. Aber die zurückliegenden Querelen mit dem allgewaltigen Trainer Otto Rehhagel zum Ausklang der Zweitliga-Saison und die angeblich fehlende Rückendeckung durch Aufsichtsrat und Präsidium haben Briegel frustriert aufgeben lassen. Bereits am (morgigen) Dienstag wird er seinen Schreibtisch räumen. Über seine Nachfolge gibt es bereits Spekulationen. Naheliegend wäre ein Einstieg des Weltmeisters von 1990, Andreas Brehme, der sportlich unter Rehhagel kaum noch zum Zuge kommt.

Ende einer erfolgreichen Periode

In einer Erklärung der Pfälzer zum Briegel-Rücktritt heißt es lapidar, der 42jährige Manager habe mitgeteilt, "daß er definitiv am 21. Oktober seine Tätigkeit als sportlicher Leiter beim 1. FC Kaiserslautern einstellt". Briegel sehe in der Beendigung seiner Tätigkeit das Ende einer erfolgreichen Periode, die den Verein in die 1. Bundesliga zurückgeführt habe. Briegel war erst im Sommer 1996 für den beurlaubten Rainer Geye eingesprungen.

"Sein Rücktritt resultiert aus der Summe vieler Ereignisse, die Herr Briegel zu diesem Schritt veranlaßt", heißt es in der offiziellen Erklärung der Lauterer. Briegel habe diese Entscheidung "aus rein privaten Gründen" getroffen. Der 72fache Nationalspieler wollte bereits im Juni aus seinem Amt ausscheiden, als der Streit um die sportlichen Kompetenzen mit Rehhagel eskalierte. Doch Aufsichtsrats-Chef Jürgen Friedrich konnte den als geradlinig bekannten Pfälzer noch einmal überreden, bei seinem Stammverein weiterzumachen. Die Probleme waren damit jedoch nicht aus der Welt geschafft, sondern nur vertagt.

"Idealer Ansprechpartner"

Der 42jährige galt als "idealer Ansprechpartner für die Mannschaft" (Kapitän Andreas Brehme). Nach dem fast traumatischen Bundesligaabstieg hatte Briegel dafür gesorgt, daß mit Martin Wagner, Andreas Brehme, Miroslav Kadlec und Pavel Kuka die Leistungsträger für den sofortigen Wiederaufstieg blieben. Zudem hatte er mit dem Brasilianer Ratinho einen Mann mit Zukunft geholt und später auch ohne großes Aufhebens die spektakuläre Rückkehr des Schweizer Nationalspielers Ciriaco Sforza eingefädelt.

Doch immer wieder funkten ihm andere Führungsmitglieder beim Traditionsverein in die Arbeit. Angefangen von "Alleinherrscher" Rehhagel über Präsident Hubert Keßler mit spontanen, aber nicht realisierbaren Wunschvorstellungen bis zu Aufsichtsratsmitglied Karlheinz Feldkamp, Der Ex-Trainer hatte eine klare Kompetenzverteilung und Zusammenarbeit zwischen Rehhagel und Briegel gefordert hatte: "Wenn es nicht geht, muß einer gehen". Briegel zog nun die Konsequenzen und nahm seinen Hut. Rolf Sperber; Foto: AP


Salzletten für Rehhagel !

Trotz des Sieges gegen die Bayern: Otto Rehhagels Zeit beim 1.FC Kaiserslautern ist abgelaufen

Es war seine erste Begegnung mit dem 1. FC Kaiserslautern. Am 7. September 1963, dem 3. Spieltag der neugegründeten Fußball-Bundesliga, ging Otto Rehhagel im Berliner Olympiastadion zu Boden. Der Verteidiger von Hertha BSC Berlin hatte den Ellenbogen des damaligen Lauterer Mittelfeldspielers Co Prins in die Magengrube bekommen. "Plötzlich stand der neben mir, und ich dachte, was mag der wohl wollen. Doch noch ehe ich zu Ende gedacht hatte, lag ich auf dem Rasen und starrte in dem Himmel", erinnerte sich Rehhagel nach dem Spiel. Aber er nahm es Prins nicht übel, und beim gemeinsamen Abendessen nach dem Spiel hatten beide viel zu lachen.

34 Jahre später, als Trainer des 1. FC Kaiserslautern, findet Rehhagel gar nichts mehr lustig. Selten hatte ein so humorloser und unzugänglicher Fußballtrainer auf dem Betzenberg das Sagen. Selbst der in seinen besten Lauterer Jahren zuweilen arrogante Karlheinz Feldkamp wirkt da im nachhinein wie ein Menschenfreund.

Was Rehhagel dazu getrieben hat, sich ein ganzes Jahr lang mit einem Absteiger zu langweilen, hat er oft genug erklärt. Mit Hochmut. Seinen Freunden, dem (Noch)-Aufsichtsratsvorsitzenden Jürgen Friedrich, und Präsident Hubert Keßler wollte er einen Dienst "unter Freunden" erweisen. Schließlich hatte er mit Friedrich zusammen beim 1. FCK gespielt, und Keßler zehrt heute noch von dem Erlebnis, als er 1966 Rehhagel vom Lauterer Bahnhof abholte und auf den Betzenberg fuhr.

Eigentlich könnte ein Trainer, der mit einem Absteiger gleich wieder aufgestiegen ist, sich feiern lassen.

Nicht so Otto Rehhagel. Der erntete bei den Fans nur Pfiffe, weil er schlecht von FCK-Manager Hans-Peter Briegel, dem zweiten FCK-Denkmal nach Fritz Walter gesprochen hatte. So etwas tut man in der Pfalz nicht ungestraft. Doch Rehhagel will kein Diplomat sein, nicht zugänglich, und vor Menschen, so sie nicht seine "Freunde" sind, ist er permanent auf der Flucht. Widerwillig stellt er sich den Fragen der Journalisten, beantwortet sie stereotyp mit maskenhaftem Gesicht. Und in der letzten Reihe im Presseraum sitzt Frau Beate einträchtig mit dem Präsidenten und merkt sich diejenigen, die ihren Mann nicht verstehen wollen. Der erzählt derweil zum hundertstenmal, daß es keine jungen und alten, sondern nur gute und schlechte Fußballspieler gibt, daß Hans-Peter Briegel noch nicht Deutscher Meister war und kein Mann von Welt ist - und vergrault mit seiner herablassenden Art auch noch die wenigen, die zu ihm halten.

Aber Rehhagel kümmert das nicht. Er fühlt sich nicht nur wohl in seiner Rolle, er ist längst in ihr aufgegangen, und zwar ganz. Nicht ohne Grund hatte er sich im Juli 1996 ausbedungen, "nur meinen Freunden Jürgen Friedrich und Hubert Keßler Rechenschaft schuldig zu sein". So bleibt der Kreis seiner Gesprächspartner überschaubar. Tatsächlich hat der 1. FC Kaiserslautern auf seiner Führungsebene fußballerische Kompetenz zu bieten wie außer Bayern München kein zweiter Klub in der Bundesliga: Friedrich, einst gefeierter Mittelfeldspieler und von 1977 bis 1981 und von 1985 bis 1988 Präsident des 1. FCK, auf der einen Seite und Briegel, Europameister, zweifacher WM-Zweiter, italienischer Meister und Pokalsieger und ehemals Fußballer des Jahres, auf der anderen Seite.

Längst leidet die Mannschaft unter den Querelen zwischen Manager, Trainer und Führungsebene. Doch seit Rehhagel im Juli 1996 seinen Dienst begann, den bereits unter Eckhart Krautzun gewählten Kapitän Olaf Marschall absetzte und den abgewählten Andreas Brehme wiederwählen ließ, traut sich keiner mehr so recht den Mund aufzumachen. Wenn die Spieler die Trainingsmethoden des Meistertrainers kritisieren, geschieht dies meist hinter vorgehaltener Hand.

Die jungen Spieler, wie Thomas Riedl und Marco Reich haben sich bereits angepaßt. Längst hat Reich den Spruch "Der Trainer wird schon wissen, was er macht" so sehr verinnerlicht, daß er seinen Ärger über nur gelegentliche Kurzeinsätze nicht mehr herausläßt. Dagegen hat Riedl, nach bestandenem Abitur ein mobiler Mann, auch schon mit seinem Weggang gedroht, falls er keine faire Chance bekomme. Auf diese Weise gingen dem 1. FCK bereits Thomas Hengen (Karlsruher SC), Marco Haber (VfB Stuttgart) und einst auch Mario Basler (Bayern München) verloren.

Da verwundert es, daß ausgerechnet Rehhagel, der auf Erfahrung setzt, den Chemnitzer U-21-Nationalspieler Michael Ballack (20) verpflichtet hat. Der ist noch selbstbewußt, will mit dabei sein und es sich und dem Trainer beweisen. Aber Rehhagel hat den jungen Mann bereits auf seine Art und Weise abgestraft. Als Ballack bei der Jahrespressekonferenz um ein Statement zum Saisonstart bei Bayern München gebeten wurde, kam er gar nicht erst dazu zu antworten. Verblüfft hörte er die Worte des Trainers: "Der kann gar nichts über die Bayern sagen, der kennt die doch nur aus dem Fernseher!"

Vor dem Fernseher könnte in naher Zukunft auch Otto Rehhagel sitzen, wenn die Bundesliga spielt. Sein Freund Friedrich ist wegen ungeschickt angepackter Geschäfte für den 1. FCK ins Gerede gekommen und schwankt derzeit zwischen freiwilligem Rücktritt und Weitermachen - trotz heftigen Widerstands aus den Reihen der Mitglieder.

Entscheidet sich Friedrich für den Abgang, muß Rehhagel mitziehen. Mit Sicherheit.


Bayern München - 1.FC Kaiserslautern

0 : 1 

München (sid). "König Ottos" Rückkehr ins Olympiastadion wurde zum Triumphzug: Als der 1:0 (0:0)-Sieg des Aufsteigers beim hochgewetteten Titelfavoriten FC Bayern München perfekt war, gab es für den Trainer des 1. FC Kaiserslautern kein Halten mehr: Der 58jährige flitzte jubelnd zur Fankurve der Lauterer, warf Handküßchen, und ließ sich dort feiern, wo er am 27. April 1996 - nach einer 0:1-Niederlage gegen Rostock - davongejagt worden war.

 

Später wollte Rehhagel von Revanchegelüsten allerdings nichts wissen, auch wenn er höchstpersönlich für die erste Heimniederlage der Bayern seit seinem Rauswurf gesorgt hatte: "Für mich ist das nichts besonderes, sondern für die Presse - da haben sie wieder was zu schreiben. Ein Sieg ist immer eine Genugtuung."

Die Bayern bemühten sich nach ihrem schlaffen Bundeliga-Debüt mit peinlichem Ende um Schadensbegrenzung: "Jetzt wissen wir, daß die Bundesliga ernster ist als die Vorbereitung. Aber besser, das erste Spiel verloren als das letzte", gab Bayern-Präsident Franz Beckenbauer nonchalant zu Protokoll. Auch Manager Uli Hoeneß meinte zahm: "Vielleicht haben wir uns von den Freundschaftsspielen einlullen lassen. Jetzt müssen wir in Gladbach gewinnen." Und Lothar Matthäus beschwichtigte nach seinem mißlungenen 400. Bundesligaspiel: "Wir dürfen uns nicht verrückt machen lassen, wir wissen, was für ein Potential in uns steckt."

An das unrühmliche Ende der Ära Rehhagel wollte auch er nicht mehr erinnert werden: "Ich habe keine Rechnung mit ihm offen und er keine mit uns." Hoeneß pflichtete bei: "Es gibt kein Feindbild Rehhagel. Wenn ich's einem gönne, dann ihm." Der Fußballehrer hatte freilich in einem Interview Klartext gesprochen und Einblick in seine offensichtlich tief gekränkte Seele gegeben ("Wenn denen was nicht paßt, tun sie den Trainer weg. Die Trainer gehen, der Manager bleibt").

Ganz versöhnlich gab sich auch der nach längerer Verletzungspause enttäuschende Schweizer Ciriaco Sforza, der bei den Bayern eine eher unrühmliche Zeit erlebte: "Ich hasse den FC Bayern nicht und empfinde Genugtuung nur über unsere Leistung." Die krönte der dänische Nationalspieler Michael Schjönberg-Christensen mit einem Kopfballtreffer zum 1:0 nach einer Freistoßflanke von Sforza zehn Minuten vor Schluß. Der Schlaks hatte offensichtlich verstanden, was da in seinem Trainer vorging und erklärte danach: "Ich habe das Tor gern für Otto gemacht."

Die behäbigen Bayern blieben dagegen 63.000 erwartungsfrohen Zuschauern im ausverkauften Olympiastadion auch in der vermeintlichen Bestbesetzung eine große Vorstellung schuldig. Erst als Trainer Giovanni Trapattoni den enttäuschenden Stürmer Ruggiero Rizzitelli durch Carsten Jancker ersetzte und Dieter Hamann für Mario Basler brachte, machten die Hausherren mehr Druck. Doch Jancker (56.), Thomas Strunz (60.) und Matthäus (62.) hatten kein Glück.

Während in München trotzdem alle weiter demonstrativ nett zueinander sind, rechnet Lauterns Präsident Hubert Keßler mit einem friedlichen Ende der Querelen auf dem Betzenberg: "Die Streitigkeiten werden in einem Gespräch unter Männern beigelegt."

Doch der eigenwillige Rehhagel hat nicht vor, in der Auseinandersetzung mit Manager Hans-Peter Briegel ("das ist noch kein Mann von Weltformat") klein beizugeben. Das hat er auch signalisiert, indem er Routinier Andreas Brehme nicht aufstellte. Der hatte sich zuvor in einem Interview dezent vor Briegel gestellt und wollte nicht ausschließen, daß seine Verbannung etwas damit zu tun haben könnte.

Rehhagel lobte hinterher, wie toll "der Andy das geschluckt hat" und in Zivil aber "mit vollem Herzen" neben ihm auf der Bank Platz genommen habe. Gleichzeitig drohte er seinen Widersachern einmal mehr: "Einige Leute müssen hier im Hintergrund ihre Profilneurosen ausleben. Wenn dieser kleinkarierte Käse so weitergeht, dann geh ich und bau' Sandburgen."

Entscheidung über Rehhagel-Zukunft diese Woche

"Es gäbe das Ausland..."

Kaiserslautern/Frankfurt (dpa) - Trotz der dritten Saison- Niederlage in Berlin, trotz des möglichen Verlustes von Otto Rehhagel: In der Pfalz herrscht beim 1. FC Kaiserslautern Gelassenheit. "Die Chancen, daß Otto bei uns bleibt, stehen 50:50", räumte Präsident Hubert Keßler am Sonntag vormittag allerdings ein.

In der kommenden Woche soll die richtungsweisende Entscheidung fallen, nachdem der Trainer in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" mit einem spektakulären Wechsel ins Ausland spekuliert hatte. "Es gäbe Städte mit mehr kulturellen Möglichkeiten, es gäbe das Ausland", erklärte Rehhagel. In Kaiserslautern hält sich hartnäckig der spanische Erstligist FC Valencia als Interessent.

Lautern: Verständnis für alles

Beim Traditionsverein, dessen Höhenflug bis an die Tabellenspitze eng mit dem Namen Rehhagel verbunden ist, würde sogar ein negatives Votum des Trainers auf Verständnis stoßen. "Er hat Angebote aus dem Ausland, die so attraktiv sind, daß ich ihm eigentlich raten müßte, eins anzunehmen", sagte Keßler, der bis zum 20. Dezember die Gespräche zu Ende bringen will. Sogar die Weihnachtsfeier des Bundesligisten am Sonntag abend sollen zu Verhandlungen genutzt werden.

Kippt die euphorische Stimmung in der Pfalz?

Auch Rehhagel plädierte für rasche Entschlüsse. "Der Verein muß rechtzeitig planen können. Und mein möglicher neuer Klub will auch Klarheit. Anderseits sehe ich natürlich das Problem, daß die euphorische Stimmung in der Pfalz kippen könnte, wenn ich meinen Wechsel bekanntgebe", meinte der 59jährige, der die Lauterer in diesem Jahr wieder in die Erstklassigkeit zurückführte und seitdem ständig vor ausverkauften Stadion auf dem "Betzenberg" spielt.

Gleichzeitig nutzte Rehhagel, der am Freitag nach dem 0:2 bei Hertha BSC Fragen nach seiner Zukunft noch schroff abgelehnt hatte, die Gelegenheit zu einem harten Votum über die Manager in der Bundesliga. "Die Manager sind eine große Gefahr für die Klubs. Die sagen: Die Trainer wechseln ja sowieso, wir machen das alles. Die degradieren uns Trainer zu Vorturnern, die mit den Profis nur noch auf dem Rasen rumlaufen dürfen", meinte Rehhagel, der in Kaiserslautern das alleinige Sagen hat.

"Ideale Konstellation" gibt's nur am Betzenberg

"Noch zu Beginn der Saison hatte der ehemalige Bremer "Meistermacher" den Machtkampf mit dem Lauterer Manager Hans-Peter Briegel für sich entschieden. "Der war eifersüchtig, wollte auch Spieler einkaufen so wie der Rudi Assauer in Schalke." Briegel hatte Rehhagel schon direkt nach dem Wiederaufstieg in die Bundesliga Alleingänge vorgeworfen. Als er aber nichts ändern konnte, zog Briegel von sich aus die Konsequenz.

In der Lauterer Vereinsführung hat man den Kampf um den Verbleib von Rehhagel aber noch nicht aufgegeben. Präsident Keßler zählt vor allem auf seine Freundschaft zu Rehhagel und dessen Verbundenheit zu dem Aufsichsratsvorsitzenden Jürgen Friedrich. Beide hatten Rehhagel mit diesen Argumenten in die Pfalz geholt. Der Coach Rehhagel, der seine größten Erfolge in der Idylle bei Werder Bremen gefeiert hat, ist sich über das ähnliche Umfeld in der Pfalz bewußt. "Mir ist natürlich klar, daß ich so eine ideale Konstellation wie hier woanders nicht kriege", meinte er. Von Günter Kalkbrenner und Rolf Sperber, dpa